Mit Vedolizumab durch Schwangerschaft und Stillzeit
Als ich von meiner Schwangerschaft erfuhr, war ich gleichzeitig überglücklich und etwas besorgt. Als Mensch mit chronischer Krankheit macht man sich nicht nur darüber Gedanken, was man seinem Kind so alles vererben könnte, sondern auch, wie die Krankheit wohl die Schwangerschaft beeinträchtigt. Meine Gastroenterologin war deshalb auch wenig begeistert, als ich ihr davon erzählte, denn sie hätte lieber erst meinen Crohn in den Griff gekriegt. Im September letzten Jahres lag mein Calprotectin Wert nämlich noch in den Tausendern. Obwohl ich mit meinen Symptomen ganz gut über den Tag kam und einfach glücklich war, ohne Medikamente leben zu können bei erträglichen Symptomen, sieht die Sache in einer Schwangerschaft ganz anders aus. Eine unterschwellige Entzündung ist nämlich nicht nur ein Risikofaktor für eine Frühgeburt, sondern auch für Folgekrankheiten des Kindes wie Allergien oder Übergewicht.
Die Entzündung während der Schwangerschaft gering halten
Es musste also ein Medikament her, da ich keine Zeit hatte, noch großartige Nahrungsmittel-Experimente zu machen. Humira hatte ich ja schon mal gehabt, mit gutem Ergebnis (allerdings nur in Kombi mit der SCD Ernährung), aber auch deutlichen Nebenwirkungen (mein schlimmster Neurodermitis-Schub ever!). Blieb die Wahl zwischen systemischen Immunsuppressiva wie Azathioprin oder aber dem relativ neuen Wirkstoff Vedolizumab, in Form von Entyvio. Letzterer soll den Vorteil haben, dass er das Immunsystem nicht körperweit beeinflusst, sondern sehr gezielt im Darm. Dabei werden bestimte Immunzellen (Integrine) unterdrückt, die im Darm die Entzündungsreaktion unterhalten. Vom Nebenwirkungsprofil kam mir das daher sehr viel besser vor. Einziger Nachteil: Es ist bisher noch kaum an Schwangeren getestet worden.
Entyvio und die Studienlage bei Schwangeren
Letztlich habe ich mich trotzdem dafür entschieden, auch, weil mir eine Zweitmeinung (Prof. Stange aus Tübingen, der an meiner NOD2-Genmutation forscht) dazu geraten hatte. Und auch, weil es eben ein paar wenige Studien gibt, die zumindest keine deutlichen Hinweise auf eine Toxizität für Ungeborene zeigen (anders als z.B. bei Methronidazol, das in der Schwangerschaft auf keinen Fall genommen werden sollte). Leider sind diese Studien aber eher winzig mit etwa ~25 Teilnehmern. Unbestritten scheint jedenfalls zu sein, dass Vedolizumab in die Plazenta übergeht und so zum Ungeborenen gelangt. Was das allerdings für das Kind bedeutet, ist unklar. Bevor ihr eine Entscheidung trefft, solltet ihr euch auf jeden Fall gut beraten lassen und im Zweifelsfall vielleicht eher auf ein Biologikum zurückgreifen, bei dem schon mehr Daten vorliegen (bei TNF-alpha-Blockern gibt es z.B. auch keine Hinweise auf Fehlbildungen). Auch empfehlenswert ist es, immer mal wieder die Seite Embryotox zu konsultieren, auf der alle Erkenntnisse über Medikamente und deren Auswirkungen auf Schwangerschaft und Geburt gesammelt werden.
Letztlich (oder sollte ich sagen ‚bisher‘?) bin ich froh, diese Entscheidung getroffen zu haben, da sich meine Symptome fast komplett verflüchtigt hatten und die Schwangerschaft sehr gut gelaufen ist. Ich hatte fast keine Komplikationen, wenn man mal von einer Thrombozytopenie absieht (die höchstwahrscheinlich nichts mit Entyvio zu tun hatte). Mein Kind ist sogar ein bisschen ‚zu spät‘ auf die Welt gekommen, was erfreulich ist, wenn man bedenkt, dass Crohn eher die Gefahr einer Frühgeburt erhöht. Im ersten/zweiten Trimester wurde bei mir auch noch eine spezielle Ultraschalldiagnostik gemacht, um etwaige Fehlbildungen zu erkennen.
Sollte man Vedolizumab während der Stillzeit nehmen?
Die Studienlage zu Vedolizumab während der Stillzeit sieht ähnlich schlecht aus wie die zur Schwangerschaft, aber auch hier gibt es wenigstens ein paar plausible Anhaltspunkte. In einer jungen Studie hat man geschaut, wie hoch die Konzentration von Vedolizumab in der Muttermilch ist, um daraus Schlüsse über die Wirkung im Säugling zu ziehen. Dabei hat man festgestellt, dass die Konzentration des Medikaments ca. 3-4 Tage nach der Infusion am höchsten war, allerdings nie über 1/100stel der Konzentration lag, die normalerweise im Blut nachgewiesen wird, wenn man mit Entyvio behandelt wird. Dazu kommt, dass nicht klar ist, wie bzw. ob der Wirkstoff vom Körper überhaupt aufgenommen wird, wenn er auf dem oralen Weg gegeben wird, statt über eine Infusion. Man geht davon aus, dass das Molekül (das wohl sehr groß ist) im Verdauungstrakt des Kindes zerstört wird.
Impfen mit Entyvio?
Trotzdem raten einige Stellen, dass man beim Säugling mit Lebend-Impstoffen wie Rotaviren in den ersten sechs Monaten lieber absehen sollte. In Deutschland sind allerdings die Rotaviren auch die einzigen, die in diesem Zeitraum gegeben werden und diese kann man laut meiner Gastroenterologin und auch meiner Kinderärztin ruhig weglassen, wenn man in einer Gegend wohnt, die medizinisch gut versorgt ist (was wir in Deutschland auf jeden Fall sind). Denn Rotaviren sind nur deshalb gefährlich, weil das Kind bei zu viel Durchfall dehydrieren kann, was man im Krankenhaus auf jeden Fall verhindern kann. Da mir alle Seiten dazu geraten haben, wollte ich die Rotaviren-Impfung dann auch bleiben lassen, nur leider hat mein Kind dann durch einen Fehler der Arztpraxis die Impfung doch bekommen -und gut vertragen.
Generell scheint das Ansprechen auf Impfungen bei Kindern, die Vedolizumab ausgesetzt sind, jedenfalls genauso gut zu sein, wie bei anderen Kindern auch, weshalb man getrost alle Impfungen durchführen kann. Meine Gastroenterologin riet mir allerdings dazu, die Masern, die mit ca. 1 Jahr dran wären, auch so lange zu verschieben, bis ich abgestillt habe (da die meisten ohnehin nicht viel länger als 1 Jahr stillen). Ob ich das tun werde, bleibt noch abzuwarten.
Quellen
- https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/28169436/
- https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/31692017/
- https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/30281093/
- https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/28961712/
- https://www.drugs.com/breastfeeding/vedolizumab.html
- https://www.mdedge.com/obgyn/article/108779/rheumatoid-arthritis/piano-study-provides-insight-safety-biologics-pregnancy
- https://www.mdedge.com/obgyn/article/108779/rheumatoid-arthritis/piano-study-provides-insight-safety-biologics-pregnancy
Hallo,
ich bin durch Zufall auf deine Seite gestoßen und wollte fragen, ob du vielleicht bereit wärst mir ein paar mehr Infos über deine damalige Schwangerschaft/Stillzeit in Verbindung mit dem Medikament Vedolizumab zu geben? Ich selbst bin gerade in der 11 SSW und habe kurz vor der Schwangerschaft mit dem Medikament Vedolizumab angefangen (wegen Colitis Ulcerosa). Da man dazu kaum Erfahrungsberichte findet würde ich mich freuen, wenn du bereit wärst deine Erfahrungen mit mir zu teilen.
Liebe Grüße,
Stephi
Hallo Stephi, vielen Dank für dein Interesse! Ich kann gar nicht furchtbar viel berichten, denn meine Erfahrung war durchweg positiv. Seit ich Entyvio nehme, bin ich in Remission und dort auch geblieben. Mittlerweile habe ich eine zweite Schwangerschaft und Stillzeit mit Entyvio durch und bin begeistert. Ich kann endlich seit langer Zeit wieder essen, was ich will, ohne Angst vor Folgen zu haben. Meine Kinder sind beide super entwickelt. Meine Ärztin hatte mich beide Male in eine Studie eingeschlossen und sagte, dass Entyvio auch schon (oder bald?) für Schwangere zugelassen würde.
Ich wünsche dir alles Gute für die Schwangerschaft und natürlich Gesundheit für dich und den Nachwuchs! <3
Wenn du noch konkrete Fragen hast: Gerne her damit!
Liebe Grüße
Valerie