Morbus Crohn ist keine Autoimmunkrankheit. Oder?
Als ich gestern früh aus dem Behandlungszimmer meiner neuen Gastroenterologin stolperte, war ich einigermaßen verwirrt. Ich wechsle mit einiger Regelmäßigkeit meine Ärzte, da ich ziemlich oft umziehe. Diesmal hatte ich mich dafür entschieden, die CED-Ambulanz der Uniklinik auszuprobieren, da ich dachte, dort sei man sehr eng an den neusten Forschungsergebnissen orientiert. Als mir meine Ärztin also gestern die obligatorische „Haben Sie noch Fragen“-Frage stellte, wollte ich von ihr wissen, was sie denn glaubte, was die Ursache für Morbus Crohn sei. Dass sie sagte ‚Morbus Crohn sei eine Autoimmunkrankheit bei der sich der Körper ohne ersichtlichen Grund selbst angreife‘, hat mich stutzig gemacht. Das erste, was mir meine damalige Gastroenterologin bei meiner Erstdiagnose gesagt hatte, war nämlich, dass es KEINE Autoimmunkrankheit sei. Nun kann es sein, dass ich einfach nicht genau verstehe, was eine Autoimmunkrankheit ausmacht, oder dass die Medizin sich da auch nicht ganz sicher ist, oder aber dass es unterschiedliche Ansichten über den Ursprung von Morbus Crohn gibt.
Damals hat mich diese Aussage irritiert, aber etwas Nachforschung hatte mich schnell auf die Forschungsarbeit von Dr. Jan Wehkamp gestoßen, der zusammen mit seinem Mentor Eduard Stange schon vor bald 20 Jahren ein alternatives Erklärungsmodell für die Entstehung von Morbus Crohn vorgeschlagen hatte: Laut seiner Hypothese ist Morbus Crohn ein Defekt der Barriereschleimhaut, ausgelöst durch eine Genmutation im NOD2-Gen, die dazu führt, dass der Darm nicht genug Defensine produziert. Defensine werden von Paneth- bzw. Epithelzellen unserer Darmschleimhaut produziert, und sind sozusagen körpereigene Antibiotika, die dazu da sind, die Bakterien an der Darmschleimhaut in Schach zu halten und am Eindringen in den Körper zu hindern. Zwar wimmelt es in unserem Darm nur so von Bakterien, allerdings ist die Darmschleimhaut selbst normalerweise steril, da die Defensine keine Bakterien ranlassen. Wenn es an Defensinen mangelt, können Bakterien bis zur Darmwand vordringen und lösen dort eine Entzündung aus, da der Körper sich gegen die Eindringlinge zu verteidigen versucht. Laut dieser These handelt es sich keineswegs um einen unmotivierten Angriff des Körpers auf sich selbst, sondern um einen gezielten Angriff auf Fremdkörper (Bakterien), die sich unbefugten Zutritt zum Körperinneren zu verschaffen versuchen. Insofern bekämpft man mit Immunsuppresiva, die gerne bei CED eingesetzt werden, auch nicht die eigentliche Ursache des Problems und macht die Lage möglicherweise langfristig sogar schlimmer.
Was sind Defensine?
Aber von vorne: Was hat es mit diesen Defensinen auf sich? Defensine sind, wie man sagt, ein evolutionär konserviertes System zur Pathogenbekämpfung, dass es schon seit extrem langer Zeit gibt und sich sogar bei Pflanzen findet. Auch Äpfel bilden Defensine, die sie vor Schädlingen schützen und genauso tut es unsere Haut bis heute. Dabei ist es nicht nur die Darmschleimhaut, die sich vor Bakterien schützt, sondern jede unsere Schnittstellen zur Außenwelt. Auch unsere Haut und unser Lungenepithel bilden diese hilfreichen Proteine, die man auch körpereigene Antibiotika nennen könnte.
Man unterscheidet dabei zwischen alpha- und beta-Defensinen, die wiederum verschiedene Unterarten haben. Alpha-Defensine werden bevorzugt von Panethzellen im Dünndarm gebildet, während beta-Defensine eher von Enterozythen im Dickdarm ausgeschüttet werden. Ein Mangel an alpha-Defensinen ist deshalb mit einem Dünndarm-Morbus Crohn assoziiert, wohingegen ein Mangel an beta-Defensinen eher bei Dickdarm-Crohn zu finden ist. Es scheint also keineswegs völlig random zu sein, an welcher Stelle des Magen-Darm-Traktes man erkrankt, wie man als Crohn-Patient vielleicht glauben mag. Vielmehr scheinen sich dahinter unterschiedliche genetische Prädispositionen zu verbergen.
Woher kommt der Defensinmangel?
Aber wie kommt es nun zu einem Mangel? Defensine werden von den Panethzellen und Enterozyten unserer Darmschleimhaut gebildet. Diese suchen nach Teilen von Bakterien. Wird ein Bakterium detektiert, werden Defensine gebildet, die sich an die Bakterienwand legen und das Bakterium durchlöchern. Das war’s dann mit dem potentiellen Eindringling. Die Defensine haben somit maßgeblichen Einfluss auf die Bakterienpopulation unseres Darms und sorgen dafür, dass ein Gleichgewicht herrscht. Mit einer bestimmten Mutation im NOD2/CARD15-Gen allerdings funktioniert das Detektieren der Bakterienteile nicht richtig, was dazu führt, dass keine Defensine produziert werden und die Bakterienpopulation aus dem Ruder läuft. Die Bakterien können sich an die Darmwand anlagern und werden dort dann schließlich von unserem Immunsystem aufgespürt, welches direkt mit dem Raketenwerfer anrückt – Die Folge ist Entzündung: Das eigentliche Problem bei Morbus Crohn.
Interaktion von Darmflora und Defensinen
Schon viele Untersuchungen haben gezeigt, dass sich das Mikrobiom von Menschen mit Morbus Crohn stark von dem gesunder Menschen unterscheidet – man könnte demnach meinen, die Ursache der Erkrankung sei in der gestörten Bakterienpopulation zu suchen. Die Defensin-Theorie legt allerdings nahe, dass der Kausalzusammenhang möglicherweise genau andersrum ist – oder noch komplizierter – in beide Richtungen funktioniert. Denn wie erwähnt sind es nicht nur die Defensine, die die Bakterien beeinflussen, auch die Bakterien beeinflussen die Ausschüttung von Defensinen. An diesem Punkt setzt zum Beispiel das Probiotikum ‚Mutaflor‘ an, welches das einzige Probiotikum ist, das als Therapie bei Morbus Crohn zugelassen ist und (unter bestimmten Umständen) sogar von der Kasse bezahlt wird. In Mutaflor befindet sich der Bakterienstamm E.Coli Nissle 1917, welcher ganz offenbar die Produktion von Defensinen anregt. Einen ähnlichen Effekt scheinen auch Lactobacillen zu haben.
Was hat Neurodermitis mit Morbus Crohn zu tun?
In meinem speziellen Fall ergibt diese alternative Erklärung für Morbus Crohn sehr viel Sinn, denn ich bin sogar positiv auf eine Mutation im NOD2-Gen getestet worden, die maßgeblich dafür verantwortlich zu sein scheint, dass sich meine Darmschleimhaut der Bakterienkolonie so schutzlos ausgeliefert sieht. Außerdem leide ich seit ich denken kann an Neurodermitis, bei dem ganz ähnliche Mechanismen zu Gange zu sein scheinen. Auch hier dachte ich früher, Neurodermitis sei autoimmun, aber heute zweifelt keiner mehr daran, dass es sich stattdessen um eine Hautbarrierestörung handelt, ganz ähnlich wie es beim Crohn der Fall sein könnte. Beide Krankheiten – der Dickdarm-Crohn und Neurodermitis – gehen offenbar mit einem Mangel an beta-Defensinen einher.
Mir ist klar, dass ich keine Medizinerin bin, aber zumindest habe ich eine wissenschaftliche Ausbildung, lese gerne Forschungspapers und habe ein natürliches Interesse an der aktuellen Forschungslage rund um chronisch entzündliche Darmerkrankungen und im Speziellen Morbus Crohn. Umso faszinierter war ich, als ich diese Erklärung für mein Krankheitsbild gefunden hatte. Obwohl sich diese Sichtweise in Deutschland schon sehr verbreitet zu haben scheint (man liest sogar in populären Zeitschriften darüber), scheint der ganze amerikanische Kontinent noch nichts davon gehört zu haben. Zumindest in meiner Paleo-Filterblase, in der sich sehr viele CED-Patienten befinden, scheint es überhaupt nicht zur Debatte zu stehen, dass Crohn und Colitis autoimmuner Natur sind.
Morbus Crohn – drei Krankheiten, ein Name?
Meine persönliche These ist auch nicht, dass diese alternative Erklärung unbedingt ausschließliche Gültigkeit hat. Vielmehr ist sie nur eine von mindestens drei plausiblen Erklärungsmodellen für Morbus Crohn. Bei etwa 20% der Crohn Patienten findet man Auto-Antikörper, bei weiteren 30% findet man den MAP-Erreger (Mykobakterium Avium Paratuberculosis), der dafür bekannt ist, in Wiederkäuern Crohn-artige Symptome auszulösen und in weiteren 30-40% findet man eine oder mehrere Mutationen im NOD2/CARD15-Gen. Was wäre, wenn Morbus Crohn gar nicht eine einzige Krankheit ist, sondern drei (oder sogar mehr) verschiedene? Immerhin sind auch die Symptome bei vielen Patienten unterschiedlich und auch die Reaktion auf Medikamente fällt unterschiedlich aus. Wenn man Kopfschmerzen hat, kann das auch 769 unterschiedliche Gründe haben. Von der Dehydrierung bis zum Hirntumor ist alles möglich, deshalb würde aber niemand behaupten, dass beides die gleiche Krankheit ist. Auch Diabetes Typ 1 und Typ 2 sind zwei Krankheiten mit zwar gleichen Symptomen, aber ganz unterschiedlicher Ursache. Morbus Crohn wird heute aber immer noch mehr oder weniger durch das Ausschlussverfahren festgestellt. Wenn man keinen anderen Grund für die Symptome findet, und diese ein bestimmtes Muster haben, dann ist es vermutlich Crohn. Dabei bestellt normalerweise niemand einen Gentest, macht einen MAP-Test oder sucht nach Autoantikörpern.
Wie passt das alles zur Ernährung?
Man könnte sich jetzt fragen, was man mit diesem Wissen anfangen soll, wenn es ohnehin noch keine neuen Medikamente gibt, die man ausprobieren könnte. Es gibt aber möglicherweise doch etwas, was man tun kann. Und je nachdem, welche Variante der Krankheit man hat, wären das ganz unterschiedliche Dinge. Wer den MAP Erreger in sich trägt, der könnte vielleicht ‚ganz einfach‘ von einer Stuhltransplantation profitieren und sich damit von dem Unheilbringer befreien (die Erfolgsaussichten sollten ählich hoch wie bei Clostridium Difficile sein). Wer dagegen an einer Autoimmunkrankheit leidet, der ist mit dem Paleo-Autoimmunprotokoll gut bedient. Und der, der zu wenig Defensine produziert… hmm
Mehrere Möglichkeiten sind denkbar. Defensine in Form von einem Medikament lassen bestimmt nicht mehr lange auf sich warten.
Eine Möglichkeit wäre natürlich das erwähnte Mutaflor, das die Defensin-Produktion anregt.
Eine andere Idee wäre, einfach alle Mikroben mit dem Gummihammer auszurotten, damit sie sich nicht an der Darmwand ansiedeln können. Die drastischste Methode dabei wäre Gabe von Antibiotika (wobei der Langzeiteffekt wahrscheinlich eher negativ ist). Eine komplett parenterale Ernährung (dabei wird der Darm komplett stillgelegt) oder ein künstlicher Darmausgang, der den entzündeten Teil des Darms auf ‚Diät‘ setzt, führt bekanntermaßen schnell zu einem Abklingen der Symptome. Eine natürlichere Methode wäre vielleicht die Carnivore Diät. In den Weiten des Webs findet man mehr und mehr Menschen, die sich mit Hilfe dieser Nur-Fleisch-Diät von Crohn und anderen Krankheiten heilen. Möglicherweise könnte das daran liegen, dass Fleisch unseren Bakterien nicht viel zu fressen bietet. Die Proteine im Fleisch werden größtenteils schon im Dünndarm resorbiert, sodass für die Bakterien nicht mehr viel übrig bleibt. Folglich würde deren Population deutlich dezimiert werden, was für unsere Darmwand (in diesem Fall) super Neuigkeiten wären.
Die wahrscheinlich schonendere Variante wäre, die Bakterienpopulation wieder ins Gleichgewicht zu bringen (wir erinnern uns, dass die Defensine eigentlich dazu da sind, pathogene Keime zu töten). Mit Hilfe von Stuhltransplantationen wurde das schon mit gemischten Ergebnissen getestet. Wer aber keinen perfekten Stuhlspender findet, dem bleibt noch die Modulation des Mikrobioms durch Ernährung. Nach Antibiotika und Stuhltransplantation ist das die schnellste Variante, die Bakterienpopulation zu verändern. Unterschiedliche dieser Tierchen essen gern unterschiedliche Nährstoffe und da Bakterien meist nur ein paar Tage leben, kann man innerhalb kurzer Zeit schon ein Massensterben der einen Art, oder eine Überbevölkerung der anderen Art induzieren. Ein paar der freundlichsten Bakterien, die es zu kultivieren gilt, wären Faecalibacterium Prausnitzii oder Akkermansia Muciniphila, die gerne resistente Stärke und Trauben-Polyphenole essen. Bleibt nur die Frage, was die bösen gerne essen. Tja und das ist gleichzeitig auch die Frage, um die sich dieser ganze Blog dreht..
Was denkt ihr? Habt ihr schon einen Gentest gemacht? Habt ihr Erfahrungen mit der Carnivoren (oder einer anderen) Diät? Lasst es mich in den Kommentaren wissen! 🙂
Quellen
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https://deutsch.medscape.com/artikelansicht/4903530
https://www.welt.de/gesundheit/article940452/Neue-Hoffnung-fuer-Patienten-mit-Morbus-Crohn.html