Sinn und Sinnlosigkeit der Paleo-Ernährung: Alles Quatsch mit Soße?
Jeder Hype hat seine Kritiker und die Paleo-Ernährung wird definitiv gerade gehypet. Zwar sind mittlerweile schon 10 Jahre vergangen, seit Loren Cordain den Startschuss mit seinem Buch ‚Die Paleo-Ernährung‘ gab, aber in der Öffentlichkeit ist diese Ernährungsform noch nicht besonders lange angekommen. Lange genug allerdings, um Kritiker und jede Menge Hater auf den Plan zu rufen. Diese haben allerlei Argumente, die teilweise durchaus diskussionswürdig sind, teilweise auch einfach sinnentleert.
1. Die Geschichte von der Ernährung unserer Vorfahren ergibt keinen Sinn
1.1 Das Gemüse heute ist nicht vergleichbar mit dem Gemüse von damals
1.2 Unsere Vorfahren haben auch Getreide gegessen
1.3 Was unsere Vorfahren gegessen haben, hat stark variiert
Wenn man einmal von den wirklich sinnbefreiten Kritikpunkten absieht, gibt es einige interessante, die sich auf die aktuelle Forschungslage zur Ernährung unserer Vorfahren berufen. Hier gibt es sicherlich viel zu diskutieren. Allerdings geht diesen Argumenten oft eine falsche Grundannahme voraus: Dass Paleo darauf aus sei, die Ernährung unserer Vorfahren 1:1 zu kopieren.
Das ist natürlich nicht möglich, aber darum geht es auch gar nicht. Um das zu erklären muss man nachvollziehen, wie die Paleo-Bewegung entstanden ist. Angefangen hat alles mit einem Buch von Loren Cordain, der die Ernährung in der Steinzeit beschrieb und einen Zusammenhang zwischen dieser Ernährungsweise und der Gesundheit der Menschen zog. Diese wissenschaftlichen Grundlagen hat man sich zu Nutze gemacht, und seit dem wird versucht, eine Ernährungsform zu entwickeln, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht. Da die Forschung immer weiter voran schreitet, ist auch die Paleo-Ernährung einem ständigen Wandel unterworfen. Es gibt kein Kommitee und keine Institution, die die ‚Regeln‘ für Paleo vorgibt – was Paleo ist und was nicht wird permanent von seinen Anwendern neu verhandelt und dabei werden vor Allem neuste ernährungsphysiologische Erkenntnisse miteinbezogen. Aktuell wird z.B. die Debatte geführt, ob Kartoffeln wegen ihres hohen Nährstoffgehaltes nicht doch in die Ernährung aufgenommen werden sollten. Gleiches gilt für Reis und manche Paleo-Anhänger halten auch grasgefütterte Milchprodukte für vertretbar. Tomaten wiederum enthalten so viele entzündungsfördernde Stoffe, dass sie von vielen abgelehnt werden. Bei der Debatte werden immer die positiven und negativen Aspekte der Nahrungsmittel gegeneinander abgewogen, weshalb die Umsetzung der Paleo-Ernährung sehr variieren kann. Der kleinste gemeinsame Nenner bei der Paleo-Ernährung ist demnach gar nicht ‚Essen wie in der Steinzeit‘, sondern eher hohe Nährstoffdichte und Gesundheit.
2. Brot und Getreide haben den Menschen erst erfolgreich gemacht
Tatsächlich war der Ackerbau der Schlüssel zur Entwicklung unserer Kultur. Der Anbau von Nahrungsmitteln führte dazu, dass wir sesshaft werden, Städte bauen konnten und dabei nicht verhungerten. Insofern hat uns das Brot einen großen Dienst erwiesen. Das ist aber leider erstmal ein kulturelles und kein gesundheitliches Argument, denn dass wir somit mehr Kinder zeugen konnten, die kurzfristig nicht starben, heißt noch lange nicht, dass wir insgesamt gesünder wurden. Tatsächlich weiß man, dass die Lebenserwartung der Menschen seit dem Ackerbau drastisch abgenommen hat und auch die Körpergröße der Menschen nahm ab, was auf eine schlechtere Nährstoffversorgung zurückzuführen ist, aufgrund der einseitigeren Ernährung. Auch Hygiene und Abhängigkeit von der Ernte trugen zur Verkürzung der Lebensspanne bei. Der Ackerbau bescherte uns demnach durchaus eine wachsende Bevölkerungszahl, allerdings auf Kosten ihrer Gesundheit.
Physiologisch würde ich sagen hat die Erfolgsgeschichte der Menschheit eher mit der Entdeckung des Feuers angefangen, denn dadurch war es möglich, mehr Energie aus der Nahrung zu ziehen, wodurch sich das Gehirn schnell vergrößern konnte.
3. Wir könnten uns evolutionär tatsächlich an stärkehaltige Nahrung angepasst haben
In der Tat. Nachgewiesenermaßen hat das in Teilen sogar stattgefunden, da man ermitteln kann, dass sich ein Enzym für die Verarbeitung von Stärke (nämlich Amylase) vermehrt hat, was wahrscheinlich notwendig war, um mehr Energie aus Stärke zu gewinnen als noch zu Jäger-Sammler-Zeiten. Bei Laktose ist Ähnliches passiert. Während weltweit etwa 25% der Erwachsenen Laktose verdauen können, sind es in Deutschland etwa 85%. Das heißt allerdings auch, dass 15% Probleme damit haben. Bei Gluten könnte es ähnlich sein. Zwar werden nicht viele mit Zöliakie diagnostiziert, Schätzungen zufolge haben allerdings ca. 15% der Menschen hierzulande Probleme mit der Verdauung von Weizen. Dass wir die letzten 10.000 (oder auch 30.000) Jahre Weizen gegessen haben und daran nicht gestorben sind, sagt auch noch nicht viel darüber aus, wie wir heute auf die Massen an Gluten reagieren, die überall enthalten sind. Der Grund warum man kein Getreide essen sollte ist, dass es eher Entzündungen fördert, Antinährstoffe besitzt, die die Nährstoffaufnahme hemmen, einen durchlässigen Darm fördert und viel weniger Nährstoffe hat als anderes Gemüse. Wer damit kein Problem hat, kann sich glücklich schätzen.
4. Die Menschen früher haben auch nur 30 Jahre gelebt
oder: Wir leben heute alle länger! (Dank Ernährung)
Dieses Argument hat zwei Aspekte: Zum einen wird argumentiert, dass Steinzeitmenschen nicht alt genug wurden, um chronische Krankheiten zu entwickeln oder gar daran zu sterben. Zum anderen heißt es, die Diät könne ja nicht sonderlich gesund gewesen sein, wenn unsere Vorfahren eine so kurze Lebenserwartung hatten. Letzteres ist natürlich Quatsch, denn unsere heutige hohe Lebenserwartung ist vor allem unseren fortgeschrittenen medizinischen Interventionen zu verdanken und die kurze durchschnittliche Lebenszeit damals ist vor allem auf eine hohe Kindersterblichkeit zurückzuführen. Wer es ins Erwachsenenalter schaffte, wurde oft bis zu 50 Jahre alt. Die Todesursachen, die damals im Trend lagen, waren vor allem Infektionskrankheiten (es gab keine Antibiotika) und Unfälle (Knochenbrüche konnte man nicht behandeln), aber sicherlich nicht Übergewicht, Diabetes, Krebs, Herz- Kreislauf-Erkrankungen, Autoimmunerkrankungen, etc. Wir werden heutzutage zwar lange am Leben erhalten, aber ohne Ärzte und Medikamente sähen wir ziemlich alt aus.
5. Paleo ist umständlich und teuer
Ääh…ja, wo ist hier das Argument? Eine Packung Chips von Ja! für 0,49€ ist billig, schnell zubereitet und deckt den gesamten Tagesbedarf an Kalorien. Für alle, die Praktikabilität und Kosten der Gesundheit vorziehen sicher eine Alternative.
Aber Mal im Ernst, sicher ist es zeitaufwändiger, wenn man Paleo zu 100% umsetzen will oder muss, da man meist selbst kochen muss. Aber unterhaltet euch mal mit eurer Großmutter, wie das Leben war, als Supermärkte noch Lebensmittelgeschäfte waren und Tiefkühlpizza dort nicht zu finden war. Und ja, frisches Gemüse ist leider viel teurer als Fertigfraß, aber ist das der Fehler der Paleo-Ernährung? Sicher nicht.
6. Paleo ist zu einseitig
Irgendwo in den Tiefen des Internets bin ich über das witzigste Argument überhaupt gestoßen: Bei Paleo könne man nur Gemüse, Obst, Fleisch, Fisch und Nüsse essen und diese 5 (in Worten: fünf) Lebensmittel seien zu einseitig. Nur fünf Lebensmittel zu essen ist natürlich wirklich etwas einseitig, ich fürchte aber, dass man mit nur sieben Lebensmitteln (nämlich zusätzlich Getreide und Zucker) auch nicht viel weiter kommt. Fun Fact: Heutige (und vermutlich damalige) Jäger-und-Sammler Kulturen essen etwa 100-200 verschiedene Sorten Grünzeug. Im durchschnittlichen deutschen Supermarkt finden sich etwa 50 Gemüsesorten. Selbst wenn man jedes einzelne davon essen würde, käme man nur schwer an die Nahrungsvielfalt dieser Kulturen heran.
7. Paleo ist für Männer gemacht und basiert hauptsächlich auf Fleisch
Es ist wahr, dass in der Paleo-Ernährung Fleisch ein wichtiger Bestandteil ist. Fleisch enthält einige Nährstoffe, die man nur unzureichend durch pflanzliche Quellen ersetzen kann und da Hülsenfrüchte und Leguminosen bei Paleo entfallen, ist Fleisch als Proteinquelle umso wichtiger. Was allerdings noch viel wichtiger ist, ist eine große Vielfalt an Gemüse. Drei Viertel des Tellers sollten aus Gemüse bestehen, was mehr ist, als sogar die meisten Vegetarier zu sich nehmen, die ihre Kalorien durch Getreide und Milchprodukte decken.
Was mit der Assoziation Männer < > Fleisch los ist, hab ich eh nie verstanden, aber ich kann zumindest sagen, dass die Mehrzahl der Paleo-Blogger, die ich im Netz gefunden habe, Frauen sind. Es kann aber sein, dass die Assoziation Paleo = Männerdiät daher kommt, das Paleo-Prinzip eben nicht darauf aus ist, schlank zu machen (es ist nämlich auch keine ‚Diät‘), sondern gesund, was auch körperliche Fitness miteinbezieht. Tatsächlich gehört zur Paleo-Philosophie ebenso das richtige Maß an Bewegung, was sich in den vielerorts entstandenen Paleo-Fitnesscentern niederschlägt.