Rezension: Die Stille Macht der Mikroben von Alanna Collen
Dieses Buch stand ungelogen 2 Jahre + in meinem Regal, bevor ich es endlich in die Hand genommen habe. Vermutlich gab es einfach andere Bücher, die ich für wichtiger hielt, doch im Nachhinein ärgere ich mich wirklich, dass ich diese Goldgrube nicht schon viel eher gewürdigt habe!
Ich habe dieses Jahr schon viele sehr (!) gute Bücher gelesen (z.B. Factfulness von Hans Rosling, Sapiens (dt. Eine Kurze Geschichte der Menschheit) von Yuval Noah Harari oder Die Alzheimer-Revolution von Dale Bredesen), aber dieses hier habe ich mittlerweile schon zwei Mal gelesen, weil es derartig interessant ist und vollgestopft mit wichtigen Informationen.
Worum geht es?
Wie der Titel unschwer erkennen lässt, ist das Thema des Buchs die Welt der Bakterien und deren Einfluss auf uns Menschen. Im Englischen heißt das Buch 10% Human, was schon die Hauptaussage der Autorin beinhaltet: Wir (Menschen) sind eigentlich nicht als einzelner Organismus zu verstehen, sondern sind vielmehr ein Superorganismus, der in enger Symbiose mit seinen Bakterien fungiert.
Die Autorin
Alanna Collen hat Evolutionsbiologie und Zoologie studiert und ist außerdem Wissenschaftsautorin. Sie beschäftigt sich mit Bakterien, seit sie in jungen Jahren während eines Forschungspraktikums von einem tropischen Bakterium heimgesucht wurde, infolgedessen sie eine endlose Zahl an Antibiotika nehmen musste, die wiederum ihre Darmflora erheblich beschädigten.
Mit dieser Geschichte beginnt dann auch ihr Buch, in dem sie unterhaltsam berichtet, wie mit einem Zeckenbiss beim Fledermaussammeln ihre jahrelange Krankheits- und Genesungsgeschichte begann. Das Buch ist allerdings keinesfalls eine biographische Geschichte, sondern viel mehr die Zusammenfassung der aktuellen Ergebnisse vieler Forschungszweige, die sich alle mit den Auswirkungen der Präsenz und Abszenz von Mikroben in unserem Darmtrakt und dem von anderen Tieren befassen. Dabei geht die Autorin stets objektiv und wissenschaftlich vor und fügt jedem Kapitel einige Seiten an Quellen hinzu.
Die verschiedenen Themen, die dabei Erwähnung finden, sind zum Beispiel die Funktionsweise des Cholera-Bakteriums und der Bezug zum Leaky Gut, wie Gartengrasmücken (eine Vogelart) in wenigen Wochen ihr Gewicht verdoppeln können und in derselben Geschwindigkeit wieder verlieren können, warum sich Fettleibigkeit buchstäblich wie ein Virus verbreitet und was Antibiotika und Mästung damit zu tun haben könnten, warum bei Menschen, die in Verkehrsunfälle verwickelt sind, öfter der Toxoplasma-Erreger gefunden wird, warum Autisten eine schlechte Verdauung haben, warum Kinder mit dem Mund in Richtung des Afters der Mutter geboren werden und warum man in Ägypten schon vor unserer Zeitrechnung frischen Kameldung bei Durchfallerkrankungen gegessen hat und wieso sich heute ein ähnliches Verfahren in der Medizin wieder etabliert.
Collens Abhandlungen sind dabei allerdings keine trockenen Aufzählungen von aktuellen Studienergebnissen, vielmehr erzählt sie immer wieder auch unterhaltsame Geschichten von den Menschen, die unsere Medizin bewusst oder unbewusst verändert haben. Da wäre natürlich die Geschichte der zufälligen Entdeckung des Penicillin durch Alexander Fleming oder die traurige Geschichte des Ignaz Semmelweiß, der verspottet und verstoßen wurde für seinen Verdacht, die Ärzte seines Krankenhauses könnten bei gebärenden Frauen das Kindbettfieber auslösen, weil sie vorher in der Leichenhalle Studenten unterrichteten (und sich noch nicht die Hände wuschen). Ein ganzes Kapitel widmet Collen außerdem der außergewöhnlichen Geschichte von Ellen Bolte, deren Sohn nach einer langen und wiederholten Antibiotikagabe Autismus entwickelte, und die daraufhin Jahre mit der Suche nach einer physiologischen Ursache für diese Krankheit suchte, schließlich fündig wurde und mit der Hilfe einiger weitsichtiger Ärzte unser heutiges Verständnis von Autismus beeinflusste.
Obgleich viele der in dem Buch zitierten Thesen unglaublich wirken, ist das Buch keinesfalls verschwörungstheoretisch oder voreingenommen. Worum es hier geht sind die allerneusten Theorien, die auf den allerneusten Studienergebnissen basieren, aber natürlich immer das Potential haben weiterentwickelt oder auch ad absurdum geführt zu werden. Doch auch wenn sich nur die Hälfte dessen als wahr herausstellt, was in diesem Buch beschrieben wird, wären die Erkenntnisse immer noch nichts weniger als mind-blowing.
Was hat mir das Buch gebracht?
Warum habe ich anfangs gesagt, dass ich mich ärgere, das Buch nicht früher gelesen zu haben? Vieles von dem, was ich hier gelesen habe, hatte ich in der ein- oder anderen Form schon einmal gehört oder gelesen. Was mir allerdings noch einmal viel bewusster geworden ist, ist wie essentiell es ist, meine Mikroben mit genügend Ballaststoffen zu füttern. Auch das Wissen über ganz bestimmte Bakterienarten, ist für mich sehr wichtig. So habe ich zum Beispiel das Bakterium Akkermansia muciniphila kennengelernt, das ein ganz wichtiges ist für die Gesundheit der Darmschleimhaut und das ich jetzt versuche, gezielt anzufüttern. A. muciniphila ernährt sich zwar von unserer Darmschleimhaut, scheidet aber gleichzeitig Stoffe aus, die dessen Produktion anregen (was ihm natürlich zugute kommt) und insgesamt wird die Schleimhaut dadurch dicker und stabiler. Mein letzter Stuhltest hat ergeben, dass A. miciniphila tatsächlich sehr unterrepräsentiert ist, weshalb ich jetzt vermehrt Cranberries, Granatäpfel und bestimmte Ballaststoffe esse, um ihr Wachstum anzuregen.
Darüberhinaus ist dieses Buch ein wunderbares, um es an Freunde oder die Familie zu verschenken, die sich vielleicht für das Thema (Darm-)Gesundheit interessieren, aber bisher noch nicht viel darüber gelesen haben. Nach der Lektüre von Die Stille Macht der Mikroben kommt man nicht umhin zu staunen und anzuerkennen, dass unsere Bakterien wirklich einen WEIT größeren Einfluss auf uns, unsere Gesundheit, und sogar unsere Psyche haben, als es wohl jemals jemand gedacht hätte.